Birte Jensen

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Das gesprochene Wort, ein stumpfes Schwert? Struktur und Funktion von Redeszenen in den Frühneuhochdeutschen Prosaromanen Elisabeths von Lothringen und Johanns II. von Simmern

Arbeitsbereich: Ältere deutsche Sprache und Literatur
Betreuerin: Prof. Dr. Monika Unzeitig

Abstract:

Politische Machtkämpfe, Intrigen, Loyalitätskonflikte, religiöse Auseinandersetzungen und Kriege – von diesen bis heute aktuellen Themen erzählen die sechs frühneuhochdeutschen Prosaromane, mit denen ich mich im Rahmen meines Projektes auseinandersetze. Der Elisabeth von Lothringen, der Gräfin von Nassau-Saarbrücken, zugeschriebene Prosazyklus (Königin Sibille, Hug Schapler, Loher und Maller und Herzog Herpin) entsteht Mitte des 15. Jahrhunderts in Form repräsentativer Handschriften nach Vorlagen der Chansons de Geste. Schon im frühen 16. Jahrhundert werden drei der Romane gedruckt und bleiben lange Zeit populär. Johann II. von Simmern, Elisabeths Urenkel, überträgt in den 1530er-Jahren die zeitgenössischen Prosaromane Fierrabras und Die Haymonskinderaus dem Französischen, die jedoch direkt als großformatige Drucke erscheinen. Das Literatursystem dieser Zeit ist nicht nur durch den Medienwandel geprägt, sondern auch von grundlegenden Veränderungen in der Literaturproduktion und -rezeption, einschließlich der Entstehung eines Buchmarktes und der Erschließung neuer Publikumsschichten. Der Prosaroman tritt als Vorposten der Neuzeit im ausgehenden Mittelalter (Bastert) die Nachfolge der Versromane an.

Das Interesse an Redeszenen ergibt sich aus der hohen Frequenz ihres Auftretens, das der grundsätzlichen Tendenz der Prosaromane entgegensteht, gegenüber ihren Vorlagen (deutlich) kürzer auszufallen. Gemäß meiner Hypothese nimmt Figurenrede nicht nur einen hohen quantitativen Anteil der Romane ein, sondern fungiert als wichtiges narratives Mittel. Vor dem Hintergrund erster Vorstöße zu diesem Thema (Unzeitig, Miedema/Schrott/Unzeitig) ist das Ziel eine systematische Analyse von Figurenrede als narrativer Strategie in den frühneuhochdeutschen Prosaromanen mit Vorlagen aus der französischen Heldenepik. Neben der Untersuchung der rezeptionsseitigen Funktion von Figurenrede zur Dramatisierung und Dynamisierung von Handlungsabläufen sowie der Sympathielenkung, werden in Fallstudien auch die Darstellung von Emotionen und Machtstrukturen durch Figurensprache untersucht. Darüber hinaus zielt das Projekt darauf ab, Wechselwirkungen von Medienwandel, Rezeption und Gestaltung der Prosaromane zu beleuchten. Das Projekt verbindet narratologische und rezeptionsästhetische Methoden und leistet auf diese Weise einen Beitrag zur historischen Dialogforschung an der Schnittstelle von Literaturwissenschaft und Linguistik.

Förderung: Stipendium aus Landesmitteln (seit Oktober 2023)